Geflügelpest: Die Pandemie der Wildvögel

Seit Ende 2020 wird Europa von einem Geflügelpestgeschehen bei Haus- und Wildvögeln eines noch nie dagewesenen Ausmaßes heimgesucht.

Europaweit mussten laut niedersächsischem Agrarministerium wegen Krankheitsausbrüchen in Geflügelhaltungen zwischen September 2021 und Juni 2022 über 44 Millionen Tiere gekeult werden. Allein für Deutschland werden die Kosten der Seuchenbekämpfung im Nutztierbereich für 2021/2022 mit rund 9.800.000 Euro angegeben. Wie viele Wildvögel verendeten, ist nicht absehbar. Experten befürchten inzwischen das Aus einiger Vogelarten. Die Klassische Geflügelpest, auch Vogelgrippe genannt, ist eine schwer verlaufende Form der aviären Influenza, die durch sehr virulente aviäre Influenzaviren der Subtypen H5 und H7 hervorgerufen wird. Alle Geflügelarten, aber auch viele Zier- und Wildvogelarten sind hochempfänglich für die Infektion.

Im Sommer 2021 beruhigte sich das Geschehen in Europa kurzzeitig. Jedoch ist das Geflügelpestvirus nicht wie in den vorherigen Jahren im letzten Winter „verschwunden“, sondern unter anderem im Wildvogelbereich „verblieben“ und hat eine ungewöhnliche „Sommerwelle“ verursacht. Zwischen Mai und Juli 2022 kam es zu fatalen Ausbrüchen an der Nord- und Ostseeküste – Tausende von Brutvögeln starben. An der Nordsee waren v. a. Seeschwalben betroffen, aber auch Hochseevögel wie etwa der Basstölpel, der nur auf Helgoland vorkommt. Wenn die dortige Kolonie erlischt, ist die Art für Deutschland ausgestorben. Die niedersächsischen Brutkolonien der Brandsee- und Flussseeschwalben erlitten ebenfalls einen massiven, existenzgefährdenden Einbruch. An der Ostsee sind vor allem Kormorane und Lachmöwen betroffen.

Aber auch die Wildvogelbestände anderer Länder sind gebeutelt worden. So sind die Brutkolonien von Brand- und Flussseeschwalben an den Küsten Nordeuropas betroffen, aus Frankreich kamen Meldungen über Hunderte toter Gänse und Schwäne, in den Niederlanden wurden mehrere Tausend Knutts tot aufgefunden, an der Westküste Englands starben geschätzt zehn Prozent der dort rastenden Nonnengans- Population, in Griechenland hunderte Krauskopfpelikane. In Israel ist von 10.000 toten Kranichen auszugehen.

 

Die Zukunft der Pandemie

Der Vogelzug wird die Situation verschlimmern, befürchten Tiergesundheitsexperten. Wenn junge Wildvögel ohne ausreichenden Immunschutz über ihre Flugrouten nach Mitteleuropa kommen und sich hier infizieren, erhöhen sie den ohnehin hohen Infektionsdruck auf Geflügelhaltungen und Vogelbestände. Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI)empfiehlt deshalb weiterhin, streng die Biosicherheitsmaßnahmen im Nutztierbereich einzuhalten. Eine weitere Gefahr besteht, dass Zugvögel neue Geflügelpestvirusvarianten einschleppen können. Für den Menschen besteht die Gefahr einer Ansteckung mit den Erregern durch intensiven Kontakt mit infiziertem Geflügel. Die aktuelle Infektionswelle mit der für Geflügeltiere, aber auch für Wildvögel hochpathogenen H5N1-Variante stellt deshalb für unsere Gesundheit eine anhaltende, potenzielle Bedrohung dar.

In diesem Zusammenhang werden erneut Diskussionen über einen Verzicht auf die Massengeflügeltierhaltung laut. Langfristig empfiehlt das Friedrich-Loeffler-Institut in seiner Risikoeinschätzung (Juli 2022), Geflügelproduktionssysteme umzustrukturieren. Vor dem Hintergrund des hochdynamischen Geflügelpestgeschehens hatten die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden in Bayern Allgemeinverfügungen erlassen, wonach Geflügel im sogenannten Reisegewerbe (z.B. auf Märkten, Schaustellungen) nur noch dann verkauft werden darf, wenn die Tiere längstens vier Tage vor der Abgabe negativ auf das Virus der Geflügelpest getestet werden mit dem

Ziel, eine Einschleppung der Geflügelpest nach Bayern zu verhindern. Leider wurde Anfang November ein Geflügelpestausbruch in einer kleinen Hobby-Geflügelhaltung im unterfränkischen Landkreis Miltenberg vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bestätigt.

Dr. Claudia Gangl